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Oh nein, nicht schon wieder. Auf dem Handy leuchtet die Nummer von Baumbergers. Seraina Huber-Achermann kennt sie auswendig. Und oft verheisst sie nichts Gutes. Und bestimmt nicht, wenn vor dem Haus der Ball pausenlos an Baumbergers Garagentor getschuttet wird. Bum, bum... Moritz, ihr Sohn, und sein Freund Florian verwechseln wieder einmal den Garagenplatz mit einem Fussballplatz. Und kaum ist ein Ball zu sehen, sind auch Karmin, Silvan und Lukas nicht weit.

 

Zugegeben, es war vom Architekten ziemlich ungeschickt, die Garagentore der Rosenbergstrasse 16 und 18 direkt vis-a-vis zu platzieren. Dass die Garagentore von Huber-Achermann und Baumberger ziemlich genau die Breite eines Fussballtores aufweisen, ist wohl eher ein Zufall. Aber mit dem feingeteerten Platz, dem runden Dolendeckel in der Mitte als Anspielpunkt und den bergseits stufenfömigen aufeinandergestapelten Granitblöcken baute er ahnungslos ein perfektes Quartierstadion. Kein Wunder lassen sich Moritz und seine Freunde nur schwer für den Weg zum nahegelegenen Fußballplatz motivieren.

 

Vor Baumbergers Garagentor ist noch der vom Regen verwaschene, mit Kreide aufgemalte Penaltypunkt sichtbar. Kein Elfmeter, eher ein Siebenmeter, was dem Torhüter die Chance extrem verringert, den Ball zu halten und das Garagentor zu schonen. Lange meint Seraina, ein Fussballspiel bestehe nur aus Penalties. Aber wenigstens ist die Zeit überstanden, als Moritz und Florian mit weisser Kreide ein Tornetz auf die beiden Garagentore zeichneten. Da war auch Thomas gefordert. Ihre bessere Hälfte hat das untrüglich feine Gespür, im rechten Moment abwesend zu sein. Sie sei die Innenministerin, meint er jeweils cool und damit war die Sache für ihn erledigt. Doch diesmal war die Sache auch für ihn nicht erledigt. Die Baumbergers pochten darauf, dass Moritz und Florian an einem freien Schulnachmittag beide Garagentore mit Seifenwasser reinigen mussten. Und zwar so gründlich, bis auch der letzte Faden des Netzes verschwunden war. Diese Art von Krisensitzung war weniger lustig.

 

Bum, bum. Der Ton scherbelte genauso, als ob jemand auf dem Deckel eines alten Ochsner-Abfallkübels herumhämmert. Alle Erziehungstipps und -tricks nützten wenig. Das deutliche Machtwort, ausgesprochen von Thomas, verwässerte bereits nach wenigen Tagen. Und der knallharte Lederball, den Seraina heimlich gegen einen weichgepumpten Gummiball ausgetauscht hatte, wurde bald zwischen den Weihnachtskisten im Keller wiedergefunden.

 

Faszination Fussball! Da nützt nichts, dass der alte Baumberger früher ein erfolgreicher Fussballer war und in der höchsten Liga mitspielte. Vorbei ist vorbei, sagt er jeweils. Ein Ball sei heute für ihn Luft. Und die Kinder verwöhnt. Die sollen sich auf dem Fussballplatz austoben. Ruhe wünsche er, nicht zuletzt darum sei er in dieses Quartier gezogen.

 

Bereits zum dritten Mal erklingt auf Seraina’s Handy die Melodie Balade pour Adeline. Jetzt gibt es keinen Ausweg mehr. Hinter dem Vorhang des Nachbarhauses erkennt sie die Silhouette von Ruth Baumberger, die auf ihr Haus äugt. Für Seraina ein Zeichen, dass sie keine Abwesenheit mehr vortäuschen kann. Genervt drückt sie auf Gesprächsannahme: «Huber-Achermann!» ... Stille ... «Hallo?» Maya runzelt die Stirn. «Ruth Baumberger!» ertönte eine gespielt überraschte Stimme, «Aha, Sie sind zu Hause...» und verwickelt Seraina in ein Gespräch über Wetter und Italien, bevor sie auf den Punkt kommt. «Frau Huber, können Sie während den nächsten zwei Wochen unser Haus und Briefkasten hüten? Wir sind in den Ferien.» Seraina jubelt innerlich. Zwei Wochen Ferien für ihre Nerven. «Und...», fügt Ruth Baumberger noch zögerlich an, «mein Mann lässt fragen, ob sein Enkelbub Alex, er heute ist zu Besuch, ob er mit Moritz und seinen Freunden mittschutten darf...»

Garagentoooor

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