Uuiuiui, das ist dem alten Herrn Baumberger aber zu viel. Soeben hat Jerry, die Katze von Huber-Achermann, ihr Geschäft in seinem Garten erledigt. Direkt in die frisch gehäckelte Erde, wo bald der blaue Rittersporn erwartet wird. Was zu viel ist zu viel! Er zieht er den Vorhang am Küchenfenster mit einem Ruck wieder zu und stampft kurz darauf in Richtung Nachbarhaus. Das muss jetzt endgültig aufhören, dass die Katzen der ganzen Umgebung seinen Garten als Klo benutzen. Auch nach dreimal Klingeln bewegt sich nichts, kein Ton und kein Mucks ist im Haus zu hören. «Aha, typisch junge Generation,» knurrt er, «in die Ferien reisen und die Katzen herumstreunen lassen.»
Eigentlich ist der alte Baumberger ein umgänglicher Mensch. Diese Seite seines Wesens hat bisher auch verhindert, dass zwischen den Grundstücken von Baumberger und Huber-Achermann kein dichter Maschendrahtzaun montiert wurde, der die Unstimmigkeiten zwischen den beiden Nachbarn öffentlich macht. Aber die nachbarschaftlichen Katzengespräche fruchten immer weniger, im Gegenteil: Nichts bringt Baumberger mehr in Rage als die dämliche Antwort, «...tut uns furchtbar leid, Katzen kann man nicht erziehen.» Dann müsste man als Nachbar auch das Recht haben, bei Katzenanschaffungen mitzubestimmen. Aber nein, plötzlich sind sie da! Rundherum. Jerry und Lola von Huber-Achermann, Pascha von Röllis nebenan, Mozart von Beckers vis-à-vis, Leader von Petric auf der anderen Strassenseite und Baumbergers Garten mittendrin als Katzeninsel und Ausweichrevier der markierenden und streitsüchtigen Kater. Baumberger fühlt sich wie umzingelt.
Das war nicht immer so. Noch vorletztes Jahr fütterte er, genau genommen seine Frau Margrit, die beiden Katzen von Huber-Achermann, wenn diese jeweils vergnüglich im Mittelmeer plantschten oder in den Bergen wanderten. Aber mit den zunehmenden Anfragen aus der gesamten Nachbarschaft scheint ihm die Katzenliebe abhanden gekommen zu sein.
Zugegeben, ein grosser Katzenliebhaber ist auch Thomas Huber-Achermann nicht. Es sind nicht seine Lieblingsmomente, wenn es sich am Samstagabend Jerry oder Lola auf seinem Schoss gemütlich machen. Aber mit drei gegen eins hat er die familieninterne Katzenkauf-Abstimmung vor vier Jahren definitiv verloren. Als Einziges konnte er noch durchsetzen mit Rosa, Moritz und seiner Frau Selina die Pflichten und Verantwortung zu regeln, den Katzenbaum im Wohnzimmer in eine hintere Ecke umzuplatzieren und das Katzenklo von der Küche in den Keller zu verbannen. Auch wenn er es heute nicht zugibt, seine Familie ohne Jerry und Lola kann er sich nicht mehr vorstellen. Vorallem, als die Beiden noch klein waren und mit ihrem lustigen Treiben die ganze Familie unterhielten. Wie wichtig seiner Familie ihre beiden Katzen noch heute sind, erfährt er jedesmal, wenn er vom Einkaufen das falsche Futter nach Hause bringt...
Das Fass endgültig zum Überlaufen brachte bei Baumbergers, als der schöne Flieder in ihrem Garten am Stamm wüste Kratzspuren aufwies. Damit wurde ihre Geduld definitiv überstrapaziert. Die halbe Nachbarschaft wurde zum Katzengespräch einberufen. Man traf sich am Tatort zur Besichtigung. Praktisch alle Familien waren vertreten. Bei Huber-Achermann war es Thomas, der delegiert wurde. Auch Beckers und Petric tauchten auf. Nur Röllis fehlten mit der Begründung, ihr Pascha könne es unmöglich gewesen sein, er sei mehr auf Futter, als auf Baumstämme fixiert.
Das Resultat war, dass sich Thomas am folgenden Samstag mit Holzpfählen und einem Gitter ausgerüstet daran machte, einen Schutzzaun um den lädierten Fliederstamm zu basteln. Nur die kleine Rosa war dabei. Sie stampfte neugierig in Nachbars Garten herum, um die versteckten und geheimnisvollen Plätzchen auszukundschaften. Plötzlich sprang sie hinter Baumbergers Haus hervor und rief ganz aufgeregt, «Lueg Papi, da hinten hät’s es Katze-Restaurant!» und zeigt in Richtung Küchentüre. Und tatsächlich, dort stand zur Selbstbedienung ein alter, randvoll gefüllter Katzenfressnapf mit verblassener Gravur «Beauty». Eine Erinnerung an Margrit Baumbergers Katzenliebe...
Katzenrestaurant