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KOLUMNE

Mein Kühlschrank denkt

Halbvoll oder halbleer? Nein, ich meine nicht das Wasserglas, sondern den Kühlschrank. Genauer gesagt meinen Kühlschrank. Wenn wir den Visionen der Küchenplaner glauben, so wird sich in Zukunft diese Frage gar nicht mehr stellen. Die gesamte Bewirtschaftung wird uns durch den intelligenten Kühlschrank abgenommen! Zukunft sei Dank! 

 

Ich frage mich manchmal, woher die Tüftler, Visionäre, Entwickler und Marketingmenschen all meine Bedürfnisse so genau kennen? Oder sind es einfach ihre eigenen Wünsche, die sie auf die Menschheit übertragen? Ich stelle mir vor, wie sie gestresst im Supermarkt vor dem Kühlregal stehen und sich mühsam im Kopf die Einkaufsliste zusammenstellen. Joghurt? Butter? Pouletschenkel? Bier? Und dann der grosse Frust. Nein, so nicht!, das müssen wir der Welt ersparen.

 

Und darum wird in ein paar Jahren alles geregelt sein. Natürlich intelligent. Der Kühlschrank wird so eingebaut, dass er durch Lieferanten wie von Geisterhand aufgefüllt werden kann. Als Benutzer erhalte ich regelmässig per Push-Nachrichten – meistens im dümmsten Moment während einer Sitzung, beim Jassen oder Mitarbeitergespräch – den Füllstand der Milch, das Verfalldatum der Mayonnaise und eine Menuidee für die bald ablaufenden Lebensmittel. Wenn ich einen Wunsch habe, sage ich es meinem iPhone und das kommuniziert mit dem Kühlschrank und der Einkaufs-App. Wenn ich abnehmen will, werden nur kalorienarme Produkte eingefüllt. Wenn ich Diät oder krankheitsbedingte Ernährung brauche, wird alles gemäss Verträglichkeitsliste der Ernährungsberatung berücksichtigt. Keine Chance für Ausschweifungen, der Kühlschrank denkt und lenkt. Gluscht hin oder her.

 

Aber der Kühlschrank ist ja erst der Anfang. Die ganze Küche wird intelligent! Ein weltweiter Nahrungsmittelkonzern vergleicht die intelligente Küche sogar mit einem Traumpartner: sieht wahnsinnig gut aus, ist extrem intelligent und geht immer auf unsere Bedürfnisse ein. Und dann eine Aufzählung von Apps, Sensoren, Programmen, Vernetzungsystemen und Steuerungen, etwa so, wie ich mir die Zentrale eines Kraftwerkes vorstelle. Und das alles, damit Kochen zu einem schnellen, kalkulierten und risikolosen Vorgang wird. 

 

Soweit so gut, aber es drängt mich, folgende Frage in den Raum, respektive in die Küche zu stellen. Wer wünscht sich eigentlich diese hochintelligente Küche? Sind es die Frauen, die sich Zeitersparnis erhoffen? Oder sind es eher die Männer, die ihre technische Begeisterung ausleben wollen? Lassen wir es offen. Auf jeden Fall wäre es eine Unterstellung, dass clevere Unternehmer ihre Geschäftsmodelle bereits auf die Zeit ausrichten, wenn die Männer die Herrschaft in Haus und Küche übernehmen und sich die Frauen voll und ganz ihrer Karriere widmen.

 

Aha, genau. Da hätte ich noch was. Wieso spricht niemand von einer intelligenten Geschirrspülmaschine? Das wäre doch viel praktischer und wünschenswerter. Sich selbst organisierende Geschirrspülmaschinen, kombiniert nutzbar als Geschirrschrank. Ausräumen entfällt, der Sauberkeitswahn ist befriedigt und Platz würde auch gespart. Das wäre eine Revolution in der unbeliebtesten Küchenarbeit! 

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