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Seraina Achermann-Huber gehört nicht zu jener Sorte Frauen, die übergewichtige Männer bevorzugen. Jedes Jahr ein Kilogramm mehr und in zwanzig, dreissig Jahren bist du nicht mehr erkennbar, rechnet sie jeweils ihrem Thomas vor. Nicht, dass ihr Eheleben vom Körpergewicht des Partners abhängt, nein, aber ein attraktives Äusseres könne zumindest nicht schaden.  

 

Umso überraschter war sie, als ihr Thomas eines Abends einen unerwarteten Vorschlag machte. Laufen im Keller! Er legte ihr einen Prospekt mit Laufbänder auf den Tisch. Mit diesem folgte eine ausführliche Argumentation, was so ein kleines technisches Wunderwerk alles für Vorteile mit sich bringen würde. Individuelle Intervallprogramme, vernetztes Kardiotraining, ergonomische Lauffläche, personalisierte TV-Unterhaltung, niedriger Stromverbrauch und und und. Und das alles zu Hause! Seraina war nicht nur überrascht, sie war schockiert. «Das ist aber nicht wirklich deine Idee», entgegnete sie ziemlich entsetzt, dass ihr Mann solche Absichten hegte. Laufen im Keller? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Sie holte aus: «Vor unserem Haus beginnt die Laufbahn direkt in der Natur. Da hast du frische Luft ... und du willst im Keller trainieren?» Die Diskussion dauerte an. 

 

Einige Wochen später absolvierte Thomas die ersten Kilometer auf dem neuen Laufband im Keller. «Wenn du schon zu Hause trainierst, dann kannst du ja auch auf die Kinder aufpassen», meinte sie nur und hatte sich einen freien Abend mit ihren Freundinnen organisiert. Thomas hatte noch keinen Kilometer zurückgelegt, da stand sein Sohn Moritz neben ihm. «Voll cool, Mann, häsch die chauft?» und wollte im Detail alle Möglichkeiten der Maschine wissen und natürlich auch eine erste Versuchsrunde absolvieren. Nur missmutig gab Thomas das Laufband frei. Nach drei Minuten war Moritz verschwunden und Thomas spurtete weiter, bis es an der Haustüre klingelte. Thomas überhörte. Erst als es das dritte Mal pausenlos schellte, stellte er die Maschine ab, keuchte verschwitzt die Treppe hinauf und öffnete die Haustüre. «Darf ich zu Eva zum Spielen kommen?» fragte Julie, das kleine Nachbarkind. Thomas spurtete weiter, als plötzlich der Backofen piepste. Und piepste und piepste. Wieder keuchte er die Treppe hoch, um den Alarm abzustellen. Ein gelbes Post-it-Zettelchen machte ihn mit der nächsten Arbeit vertraut. «Bitte Wäsche aus der Maschine nehmen.» Unterschrieben mit einem Seraina-Kuss-Smiley. Oh nein! Aber gemacht ist gemacht, dachte er als er die Waschzimmertüre hinter sich schloss und auf dem Laufband weiter spurtete. Der Film auf dem Bildschirm war bereits in der Endphase. Es dauert keine fünf Minuten, da standen Eva und Julie neben ihm, das ganze Gesicht mit Farben verschmiert. Es war reines Glück, dass Thomas vor Schreck nicht vom Band stürzte. «Wir wollten nur etwas Fasnacht spielen...» Das Band hatte sich bereits in den Ruhe-Modus zurückgestellt, als Thomas eine halbe Stunde später seine Strecke fertiglaufen wollte. 

 

Thomas lag bereits erschöpft im Bett als Seraina frohgelaunt vom Frauenabend heimkehrte. Der Abend erwies sich als willkommene Abwechslung in ihrem Alltag. «Und, wie ist es gelaufen?» wollte sie noch ganz aufgedreht wissen. Thomas blieb stumm und stellte sich schlafend. Seraina hackte nach. «Und?» Thomas murmelte nur etwas wie: «Ich glaube, Laufen in der Natur hat auch seine Vorteile...» 

Am laufenden Band

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