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MONATSGESCHICHTE MAI

Armin sitzt in seinem Stuhl und schaut in die Leere. Das macht er öfters so. Seine Frau Lidia macht das halb stigelisinnig.

Lidia: «Was machst du?»

Armin: «Ich sitze.»

Lidia: «Das sehe ich, aber was machst du?»

Armin: «Ich sitze einfach.»

Lidia: «Aber du kannst doch nicht einfach sitzen.»

Armin: «Doch, das kann ich!»

Lidia: «Einfach sitzen, einfach so?»

Armin: «Genau, einfach so in der Stille sitzen.»

Lidia schüttelt den Kopf und nervt sich. Die Flaschen müssten auch wieder einmal entsorgt werden. Eine Stunde später. 

Armin: «Armin, was machst du?»

Armin: «Ich sitze.»

Lidia: «Ja, ich weiss. Du sitzt und geniesst die Stille.»

Armin: «Ich geniesse nicht die Stille. Ich n-u-t-z-e die Stille.»

Lidia: «Aha, du nutzt die Stille. Die ist bald vorbei. Ich werde jetzt nämlich staubsaugen.»

Armin seufzt. Immer diese Störungen. Wie soll man sich so konzentrieren?

Die penetranten Sauggeräusche sind verstummt. Stille. Und schon taucht Lidia wieder auf.

Lidia: «Willst du nicht etwas lesen?»

Armin: «Nein, ich nutze die Stille.»

Lidia: «Aber du kannst ja die Stille zum Lesen nutzen.»

Armin: «Ich kann jetzt aber nicht lesen.»

Lidia: «Schau, hier ist die Zeitung. Die Welt steht nämlich kopf. Corona!»

Armin: «Ich weiss, aber die Welt steht nachher auch noch Kopf.»

Sturer Kopf, denkt sich Lidia und schmeisst die Zeitung hin. Das Altpapier müsste auch wieder mal gebündelt werden. Eine Stunde später sitzt Armin noch immer in seinem Stuhl.

Lidia: «Armin? Willst du nicht einen Spaziergang machen?»

Armin: «Nein, vielleicht später.»

Lidia: «Aber du kannst doch nicht einfach nur sitzen.»

Armin: «Doch, diese Ruhe möchte ich nutzen, wie auf einem Waldspaziergang.»

Lidia: «Aber dann könntest du doch im Wald spazieren.»

Armin: «Nein, das geht nicht. Ich muss hier sein.»

Lidia: «Schau, hier ist deine Jacke.»

Armin: «Aber ich brauche keine Jacke.»

Lidia: «Aber wenn du spazieren gehst, dann brauchst du doch eine Jacke.»

Armin: «Aber ich gehe nicht spazieren.»

Sturer Kopf, denkt Lidia und schmeisst die Jacke hin. Churchill müsste auch wieder mal raus. Stille.

Lidia: «Armin? Bist du da?»

Armin: «Ja.»

Lidia: «Um Himmelswillen, warum hockst du einfach rum?»

Armin: «Ich hocke nicht einfach, ich sitze!» 

Lidia: «Wo ist denn da der Unterschied?

Armin: «Beim Rumhocken langweilt man sich. Aber ich langweile mich nicht.»

Stille. Lidia werkelt weiter. Gegen 10 Uhr versucht sie es erneut. 

Lidia: «Armin, willst du einen Kaffee?»

Armin: «Nein danke, im Moment nicht, vielleicht später.»

Lidia: «Aber der würde dir gut tun.»

Armin: «Mir fehlt es an nichts.»

Lidia: «Hier, trink diesen Kaffee, der wird dich aufwecken.»

Armin: «Ich schlafe ja nicht.»

Lidia: «Aber du langweilst dich doch.»

Armin: «Ich langweile mich doch nicht.»

Lidia: «Klar langweilst du dich.»

Armin: «Nein, ich arbeite.»

Stille. Pause. Erstaunen.

Lidia: «Du arbeitest? Ich glaube ich spinne!»

Armin: «Nein, ich arbeite.» 

Lidia: «Mein Gott, du arbeitest?»

Armin: «Ja, ich arbeite.»

Lidia: «Woran arbeitest du denn?»

Armin: «Ich mache Homeoffice.»

Lidia: «Homeoffice? Armin, du bist pensioniert!» Sie buchstabiert: «P-e-n-s-i-o-n-i-e-r-t-!»

Armin: «Alle machen Homeoffice.»

Lidia: «Vergiss endlich dein Büro. Die Bank läuft auch ohne dich! Die brauchen dich nicht mehr.»

Armin: «Aber auch die machen Homeoffice.»

Lidia: «Die schon! Die müssen jetzt von ihrer Stube aus neue Kohle auftreiben ... für die Bonis der Bosse.» 

Sie reibt aufreizend Daumen, Zeige- und Mittelfinger aneinander. Sofort bereut sie ihre Aussage. Es scheint ihr nicht der Zeitpunkt für ein Thema mit diesem Konfliktpotential.

Armin: «Ich arbeite ja gar nicht für die Bank.»

Lidia: «Ah ja, für wen arbeitest du dann! Und vermutlich auch noch gratis!»

Armin: «Nein, ich muss genau 44 Stunden pro Monat arbeiten. Ich will mir nichts schenken lassen.»

Lidia: «Was schenken lassen?»

Lidia schüttelt den Kopf. Sie ist sich ja einiges gewohnt. Aber so was!

Armin: «Bei 80 Franken Stundenlohn macht das genau 3520 Franken! Noch Fragen?»

Lidia denkt nach. 3250 Franken? Der Betrag kommt ihr bekannt vor. Der taucht jeden Monat auf dem Kontoauszug auf.

Lidia: «… 3250 Franken? Ist das nicht der Betrag, der uns monatlich als AHV überwiesen wird?»

Armin: «Genau, sozusagen der Lohn im Alter!»

Lidia stutzt: «Und jetzt, darum musst du den halben Tag rumhocken?»

Armin: «Nichts kapiert, ich mache Homeoffice … auch unsere AHV muss verdient werden.»

Homeoffice

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