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Eigentlich fühle ich mich mit meinem Leben und seinen technischen Annehmlichkeiten ganz wohl. Um eine Zahlung zu erledigen, öffne ich das Internet. Möchte ich im Bett noch lesen, bestelle ich ein Buch per sofort auf mein Tablet. Fahre ich von A nach E über C, löse ich mein Bahnbillett beim Einsteigen per Click aufs Handy. Mein Backofen kennt alle Einstellung für einen Gratin und wenn ich abends nach Hause komme ist die Wohnung auf exakt meinen Wunsch klimatisiert. Alles von schlauen Rechnern für mich erledigt. Also, was will ich mehr? 

Künstliche Intelligenz

Ich eigentlich nichts, doch eine neue Generation will mehr! 20 Mio Internet-Seiten zum Thema «Künstliche Intelligenz» strapazieren mein Zukunftsbild: Roboter, die fehler- und emotionslos die Tagesschau präsentieren. Selfdrive-Cars, die dich ohne Stau und Gedränge auf die Minute genau ins Shopping-Center chauffieren. Virtuelle Einkaufserlebnisse auf dem Sofa. Roboter, die für mich die beste Hypothek aushandeln. Internetfähige Kleider für die soziale Vernetzung immer und überall. Künstliche Intelligenzen, die in Verwaltungsräten Platz nehmen. Ferienhotels, in denen man Servicemitarbeitende auswählen kann. Zum Beispiel ein Vampir-Roboter am Empfang oder eine Madonna-Imitation als Zimmerservice. Ach ja, einkaufen muss man auch nicht mehr, weil ich die Lebensmittel direkt mit dem 3D-Drucker ausdrucke. 

 

Und zu Hause gibt es Siri, oder wie die modernen Spracherkennungen alle heissen. Siri hört alles, Siri weiss alles. Aber will ich wirklich mit meinem Haus reden? Dass auf Befehl die Badewanne einläuft, dass mir Siri ungefragt die Ablaufdaten der Produkte im Kühlschrank vorliest? Oder mich im Schlafzimmer auf die unpassende Lichtstimmung hinweist? Oder dass sie für den Besuch der heiklen Sollbergers (sie Veganerin, er Weinliebhaber) einen passenden Menuvorschlag an die Wand projiziert und als Einkaufsliste auf mein Handy lädt? Oder dass sie meine Gefühlslage einschätzt (heute melancholisch) und die passende Musik startet? Danke Siri, aber daran müsste ich mich erst gewöhnen...

 

Bestimmt, künstliche Intelligenzen werden unsere Zukunft verändern. Sie werden alles Mögliche errechnen und interpretieren. Aber sie werden nie fühlen können. Unser Empfinden, unsere Stimmungen, unsere Gefühle werden sie nie begreifen, zum Glück. Das Herz der jungen Lady, das höherschlägt, wenn ihr Schatz sie umarmt. Meine Angst, wenn ich auf einen Aussichtsturm steige. Die Motive unseres ewigen Jammer-Nachbarn, auch wenn jetzt ein ferngesteuerter Igel-Roboter alle Schnecken aus dem Garten entfernt. Und auch Elsbeth Rosenberger von nebenan wird sich kaum liften lassen, nur weil dies ihr virtueller Coach vorschlägt. Und ich werde nie den Roboter küssen, der mich vielleicht mal freundlich lächelnd begrüsst.

 

Eigentlich bin ich ja nur Zuschauer einer immensen Entwicklung. Sie kommt, ob ich will oder nicht. Ich nutze, was mir sinnvoll scheint. Ob ich mir Sorgen um die menschliche Zukunft mache? Im Moment halte ich mich an einen schlauen Zeitgenossen, der kürzlich in einer Diskussion meinte, er werde sich erst Sorgen machen, wenn künstliche Intelligenz am Stammtisch spontan neue Witze erfinden kann… Hoffentlich werde ich noch lange meine menschliche Intelligenz bemühen müssen.

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